In der Wüste unerfüllter Sehnsucht
Es ist eine ungewöhnliche Geschichte zu Beginn der Bibel, aus der die Jahreslosung für 2023 stammt – von einer unerfüllten, tiefen menschlichen Sehnsucht, der mit einer Leihmutterschaft nachgeholfen werden soll, die aber das Klima zwischen zwei Frauen zunehmend vergiftet und sie zu Gegnerinnen werden lässt. Abram und seiner Frau Sarai bleibt der Kinderwunsch bis ins hohe Alter versagt. Da setzt Sarai ihrem inzwischen über 80jährigen Ehemann den Floh ins Ohr, er könne doch mit ihrer ägyptischen Magd Hagar schlafen. Prompt wird Hagar schwanger. Deren Freude Mutter zu werden ist groß, aber sie vermag ihre Gefühle nicht unter Kontrolle zu halten und begegnet ihrer Chefin fortan mit Geringschätzung.
Als Sarai dies erlebt, beginnt sie zu ahnen, dass ihre Idee womöglich Abgründe öffnet. Jede Begegnung mit Hagar führt ihr das Trauma ihrer Kinderlosigkeit wieder vor Augen. Die zwei Frauen verstricken sich in Neid und Missgunst; werden schuldig aneinander, ohne es gewollt zu haben. Schließlich sieht Hagar keinen anderen Ausweg mehr als zu flüchten. Zwar ist die Wüste kein Ort, der einer Schwangeren eine Perspektive bieten könnte, doch tut sie intuitiv das Richtige, nämlich die unerträgliche Situation zu verlassen, in der es nur Opfer gibt. Der Abstand kann ihr helfen aus der Fixierung auf Sarai, die ihr ungewollt zur Feindin wurde, herauszukommen und ansprechbar zu werden für neue Impulse – Fingerzeige Gottes. Und so wird selbst ein lebensfeindlicher Ort wie die Wüste zum Ort der Gottesbegegnung und zum Wendepunkt. Hagar fühlt sich von Gott gesehen und in der Tiefe ihres Herzens verstanden. Von einem fremden Gott, denn sie war eine Ägypterin. Sie gewinnt eine innere Freiheit, die ihr Kraft gibt umzukehren. Von diesem Moment an genießt Hagar den Schutz Gottes, der ihr hilft die Demütigungen ihrer Chefin für den Rest der Schwangerschaft zu ertragen. Dann bringt sie einen Jungen zur Welt, auf dem trotz der Konflikte im Haushalt Gottes Verheißung ruht: Ismael – das bedeutet: Gott erhört.
Menschliche Wege führen mitunter ins Abseits – trotz guter Absichten. Wir haben uns etwas in den Kopf gesetzt, das wir unbedingt erreichen wollen – öffnen aber die Büchse der Pandora; werden schuldig aneinander. Manchmal sind wir so voller Aggression, dass uns selbst Gott nicht erreicht. Und so wartet er geduldig, bis er uns ermutigen kann, die Welt nicht durch die Brille unserer Verletzungen wahrzunehmen, sondern zu entdecken, was möglich ist, wenn wir durch die Brille der Vergebung schauen. Wir leben von der Kraft der Vergebung. Vergebung macht nicht alles sofort ungeschehen. Vergebung ist der erste Schritt, damit Verletzungen heilen können und neues Vertrauen wächst. Vergebung ist stärker als Schmerz.