Change is coming
Mit dem gestrigen Ewigkeitssonntag begann die letzte Woche des Kirchenjahres. Diese Woche erinnert in besonderer Weise daran, dass sich die Welt im Wandel befindet. Sie ist eine Zwischenzeit, eine Phase des Übergangs. Altes vergeht, etwas Neues zieht herauf. Mit dem ersten Advent am kommenden Sonntag deutet sich etwas Großes an. Während draußen das Tageslicht bis zur Wintersonnenwende weiter abnimmt, entzünden wir aus Kerzen eine Leuchtspur, bis schließlich Christus in der Heiligen Nacht in unsere Welt kommt. Christus bringt nicht nur das Licht, er ist das Licht.
Doch bevor das Licht kommt, mutet Gott uns das Dunkel zu. Eine Zeit der Unsicherheit und des Loslassens. Auch wenn es vielen von uns im Privaten nach wie vor gut geht, sind die Deutschen Studien zufolge wenig optimistisch im Hinblick auf die gesellschaftliche Entwicklung und die Bewältigung globaler Krisen. Das unbeschwerte Leben im Auenland in „Herr der Ringe“, in denen die Hobbits weitgehend geschützt von den Ereignissen im Rest von Mittelerde leben, hat sich eingetrübt.
Wie können wir trotzdem gut navigieren durch Zeiten, in denen sich tiefgreifende Veränderungsprozesse vollziehen, auf die der/die Einzelne kaum Einfluss zu haben scheint? - Im Herrnhuter Losungsbuch für heute fand ich ein Gebet von Theodor Gill (1928-2019), der auf Worte von Johann Amos Comenius (1592-1670) zurückgreift. Es passt wunderbar in unsere Zeit:
Zeig mir mit deinen Gaben den Weg durch diese Welt. Gib, dass ich Hoffnung habe, die fest an dich sich hält, die das, was doch zerrinnt, verlässt im Weiterschreiten und durch der Gnade Leiten das Bleibende gewinnt.
Gill und Comenius waren Bischöfe der Herrnhuter Brüdergemeine bzw. der Böhmischen Brüder, wie die evangelische Freikirche früher bezeichnet wurde. Comenius gilt als der größte Pädagoge des 17. Jahrhunderts.
Es heißt: Wir werden dorthin gelangen, worauf wir schauen. Nicht umsonst schärfen Eltern ihren Kindern ein, wenn sie Radfahren lernen, nach vorne zu schauen – und nicht etwa auf die vielen schönen Dinge am Wegesrand oder sogar über die Schulter nach hinten, wo sich die Eltern befinden, um den Überblick zu behalten. Worauf schauen wir? Auf das, was uns ängstigt; in sentimentaler Rückschau auf Vergangenes, von dem keine Kraft mehr ausgeht? Oder blicken wir auf das, womit Gott uns ausgestattet hat; was Gott uns an Ressourcen mit auf unseren Lebensweg gegeben hat? „Zeig mir mit deinen Gaben den Weg durch diese Welt“ – das möchte ich täglich beherzigen. Wir können mit unseren Begabungen etwas machen, indem wir sie einsetzen. Dann werden wir Wege finden, auch wenn wir sie jetzt vielleicht noch nicht sehen.
In meinem Beruf beschäftige ich mich viel mit kirchlichen Veränderungsprozessen und Leitung in instabilen Zeiten. Gemeinden erleben, dass ein ´Weiter so` nicht funktioniert. Aber wie funktioniert Kirche stattdessen? Ich helfe ihnen bspw. ein positives Zukunftsbild zu entwickeln. Und dazu gehört die Empfehlung: Besinnt Euch Eurer Ressourcen! Eigentlich ein schlichter Rat, aber manchmal sind Gemeinden so damit beschäftigt, das Gewohnte, Vertraute festhalten zu wollen, dass sie auf das Naheliegende nicht kommen: Besinnt Euch der Gaben, die Gott Euch geschenkt hat. Sie zeigen uns den Weg durch diese Welt.
Zweitens gehört dazu eine explorative Haltung – auf deutsch: Die Lust Unbekanntes zu erkunden; die Bereitschaft zum Experimentieren. Sich aus der Komfortzone zu wagen und Dinge einfach mal zu machen, bevor man ewig plant, um dann am Ende nur herauszufinden, warum es in der Theorie gar nicht gehen kann. Nicht nur unsere Gemeinden, sondern auch wir selbst brauchen eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit; eine Kultur der Gnade. Keine leichte Lernaufgabe für ein Volk von Perfektionisten. Aber lieber einen Prototyp bauen, der vielleicht scheitert, als gar nichts zu machen. Denn: Gescheiter wird, wer scheitert und daraus lernt.
Gib, dass ich Hoffnung habe, die fest an dich sich hält, die das, was doch zerrinnt, verlässt im Weiterschreiten und durch der Gnade Leiten das Bleibende gewinnt.
Zum Vertrauen auf das, womit Gott uns ausstattet, gehört auch unerschütterliche Hoffnung. Aber Hoffnung ist eine Ressource, die uns in jenem Moment geschenkt wird, in dem wir uns Gott vergegenwärtigen und ihn um Hoffnung bitten – ganz besonders dann, wenn wir zagen und zögern oder uns schwach vorkommen. Hoffnung ist der Treibstoff, der uns in die Zukunft bringt. Und Hoffnung lässt heitere Gelassenheit entstehen, die uns hilft loszulassen, was keine Resonanz mehr erzeugt, und innere Freiheit, um den nächsten Schritt zu gehen.
Ja, es gibt Dinge, die zerrinnen – vielleicht mehr als in früheren Zeiten. Dinge nicht (mehr) kontrollieren zu können, verunsichert uns. Obwohl alles in Bewegung zu geraten scheint: Gott kennt sich im unwegsamen Gelände aus. Wenn wir uns der Führung seines Heiligen Geistes anvertrauen, werden wir herausfinden, was trägt und ewig ist: „Das Bleibende gewinnt durch der Gnade Leiten“. Gott geht mit, auch wenn die Zeiten sich wandeln.
In dieser Verheißung können wir mutig und adventlich vorangehen und uns Worte von Hermann Hesse zu Eigen machen:
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen. Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten. Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen. Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.