Gastgeber für Jesus

Gastgeber für Jesus

Wenn wir etwas über Gastfreundschaft lernen wollen, sollten wir bei Jesus selbst in die Lehre gehen. Nicht nur, weil Jesus Wasser in Wein verwandelte, als bei der Hochzeit zu Kana die Getränke ausgingen. Jesus verstand es offensichtlich richtig Party zu machen. Nein, vielmehr scheint es Jesus darauf anzulegen, die gastfreundliche Seite in uns hervorzulocken. Denn in der Tat zählt Gastfreundschaft zu den kostbarsten Talenten eines jeden von uns. 

Jesus befindet sich auf der Durchreise und legt am Jakobsbrunnen eine Rast ein (Joh 4,5-30). Er setzt sich auf den Brunnenrand, aber er hat nichts dabei, womit er Wasser aus dem Brunnen schöpfen könnte. Also muss er warten, bis zufällig jemand in der Mittagshitze zum Wasserholen vorbeikommt. Jesus, dem alles möglich ist, wird zum Bedürftigen. Erst mit Hilfe einer Frau, die an den Brunnen kommt, kann er seinen Durst stillen. Sie wird für ihn zum Gastgeber. 

Doch was zunächst wie eine alltägliche Begegnung zwischen zwei Menschen erscheint, entwickelt sich binnen weniger Augenblicke zu einem tiefgehenden, die Existenz dieser Frau berührenden Gespräch, das ihr Leben für immer verändern wird. Kaum merklich vertauschen sich die Rollen: Jesus wird auf einmal zum Gastgeber, und die erstaunte Frau zum Gast. 

Schlichte Gastfreundschaft eröffnet tiefgreifenden Sinneswandel

In Gesprächen bei Tisch werden manchmal die Grundfragen des Lebens berührt. Von Platon heißt es, dass er seine Philosophie bei Gastmahlen entwickelte. Lukas erzählt davon, dass Jesus sich bei Menschen zum Essen einlud z.B. bei Zachäus (Lk. 19,1-10). 

Jedes Mal, wenn ich die Geschichte lese, denke ich: Was für eine Dreistigkeit! Jesus lädt sich selbst ein! Er drängt sich förmlich auf; rückt Zachäus richtig auf die Pelle: „Ich muss heute in Deinem Hause einkehren!“ Vielleicht waren klare Ansagen die einzige Sprache, die Zachäus verstand. Jesus sieht ihn schon von weitem im Maulbeerbaum sitzen. Zachäus sendet Doppelbotschaften: Er glaubt sich in sicherer Entfernung, und doch hat er sich in eine Position gebracht, in der er einfach nicht übersehen werden kann. Jesus scheint zu spüren, dass dieser Mann in einem Dilemma steckt, am liebsten neu anfangen würde, aber offensichtlich zu festgelegt war in seiner Rolle – durch seine langjährigen Betrügereien und durch die daraus resultierende gesellschaftliche Ächtung. Er selbst hätte vermutlich nicht den Mut dazu aufgebracht, Jesus in sein Haus zu bitten – zu tief saß die Angst vor einer Abfuhr; zu kalt und abweisend wären die Blicke der Umstehenden gewesen. Also muss Jesus in Vorleistung gehen und ihn mehr oder weniger zu seinem Glück zwingen.

Wieder einmal ist es die Gastfreundschaft, die hilft, die positiven Seiten eines Menschen zum Vorschein zu bringen. Zachäus begreift die Ehre, die ihm durch die Anwesenheit Jesu in seinem Haus zuteil wird. Mir scheint, dass es im Leben weniger um unseren Glauben an Jesus geht, sondern stattdessen zu begreifen: Jesus glaubt an mich! Er hat mich nicht aufgegeben. Ich bin kein hoffnungsloser Fall für ihn. Das ist die eigentlich gute Botschaft. Und diese Erkenntnis scheint Zachäus an diesem Tag zu gewinnen. 

Vermutlich war Zachäus gut situiert, aber einsam. Ob er oft allein an seinem Tisch gesessen und seine Mahlzeiten zu sich genommen hat? Wie mag das für ihn nun plötzlich sein - einen Gast zu haben, offen mit jemandem reden zu können? Wer so unverhofft Besuch bekommt, hat keine Zeit für die Zubereitung eines opulenten Mahls – das, was die Speisekammer nun hergibt, wird aufgetischt. Und das ist auch gut so, denn Reichtum gehört zu den Dingen, die leicht eine Begegnung von Mensch zu Mensch verhindern können. Genauso wie die perfektionistische Veranlagung, die z.B. im Gleichnis von Maria und Martha (Lk 10,38-42) zum Ausdruck kommt. Die stundenlang in der Küche herumwerkelnde Martha versäumt gerade jene Begegnung auf Augenhöhe, die ihr letztlich eine tiefere Dimension ihres Lebens erschlossen hätte. Gastfreundschaft ist also kein Programm, sondern in erster Linie geteiltes Leben. 

Die Begegnung zwischen Zachäus und Jesus ist lebensverändernd. Es bedarf keiner moralischer Appelle, sondern schlichter Gastfreundschaft, um einen tiefgreifenden Sinneswandel herbeizuführen. Die Erfahrung von Gastfreundschaft macht sein enges Herz weit.

Pilgern als menschliche Existenzform – Angewiesensein auf Gastfreundschaft

Die Geschichte aus Lk 19 wirft ein besonderes Licht darauf, dass Jesus selbst zeit seines Lebens auf unsere menschliche Gastfreundschaft angewiesen war. Und wir Menschen waren und sind beileibe nicht immer gute Gastgeber. Jesu’ ganze Existenz ist die eines Gastes, wie er selbst nach Lk 9,58 treffend zum Ausdruck gebracht hat: „Die Füchse haben Gruben und die Vögel des Himmels Nester, aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlegen kann.“ Romano Guardini (1885-1968, Professor für Religionsphilosophie in Berlin) bezog nachfolgendes Zitat zwar nicht auf Jesus, aber es trifft durchaus auf ihn zu: „Was Gastfreundschaft wert ist, weiß nur, wer von draußen kommt, aus der Fremde.“

Denn die Evangelisten zeichnen Jesus als göttlichen Wanderer, dessen Füße etwas mehr als 30 Jahre den Erdboden berührten. Dieses Gefühl der Fremdheit teilt Jesus mit allen, die auf dem Weg des Glaubens unterwegs sind. „Ich bin ein Gast auf Erden.“ spürt ein Psalmbeter (119,19). „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ (Hebr 13,14) heißt es im Hebräerbrief. Menschen aller Zeiten haben offenbar diese Sehnsucht nach der himmlischen Heimat tief in sich gespürt. 

Die christliche Existenz, vielleicht sogar die menschliche allgemein, umfassend als die eines Pilgers zu begreifen, erlebt heutzutage eine erstaunliche Renaissance. Durch Paulo de Coelho, den brasilianischen Bestseller-Autor und christlichen Mystiker, oder durch Hape Kerkeling ist der Jakobsweg auch in Deutschland wieder sehr bekannt geworden.

Zu Gast am Tisch des Herrn

Wer an Gastfreundschaft denkt, dem kommt wahrscheinlich unweigerlich ein Tisch in den Sinn. Der Tisch gehört in jeden Haushalt. Es ist der Ort, an dem seine Bewohner zu den Mahlzeiten zusammenkommen. Hier werden Neuigkeiten ausgetauscht und Anteil genommen daran, was den Einzelnen bewegt. Am Tisch bewirten wir unsere Gäste. Dort reden wir miteinander, lachen oder weinen, feiern Feste. Hingegen ist Schweigen am Tisch kaum auszuhalten. Ein Tisch ist auch fester Bestandteil einer jeden Kirche – der Altar ist sozusagen Stein gewordenes Symbol der Gastfreundschaft. 

Daran erinnert Psalm 23: „Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.“ Was für ein Vorrecht! Wir dürfen Platz nehmen am Tisch Gottes. Er ist es, der uns nicht nur versorgt mit allem, was wir zum Leben brauchen – darüber hinaus, mit Öl gesalbt zu werden gilt als Zeichen von Luxus. Gott gibt sogar mehr als wir bedürfen. Und das dürfen wir genießen! Es ist genug da. Wir müssen nicht immer nur bescheiden sein.

Sinnlich erfahrbar wird diese Fülle im Abendmahl. Christinnen und Christen sind an den Tisch Gottes eingeladen, um zu „sehen und zu schmecken, wie freundlich der Herr ist“ (Ps. 34,8). Im Abendmahl erleben wir Gemeinschaft mit ihm, die alle Unterschiede überbrückt, und wir bekommen Wegzehrung für unseren weiteren Weg. Jesus schenkt sich uns selbst in Brot und Wein. Seine Gastfreundschaft kennt keine Grenzen.

„Die Kirche soll daher ein Ort der Gastfreundschaft sein, nicht nur um der Menschen willen, sondern um ihrer selbst willen: um die Ankunft Gottes zu erfahren und seine Verheißungen zu erlangen. Kirche als gelebte Gastfreundschaft ist eine Weise, offen zu werden für Gott selber. Und das sollte die Kirche sein: offen für den durch die Welt wandernden Gott, der sich niedersetzen will als Gast an unseren Tisch, nicht ohne hernach ungeahnte Zukunftsmöglichkeiten als Gastgeschenk zu hinterlassen. Somit ist Gastfreundschaft eine Form von Spiritualität im Umgang mit Menschen, worin Gott selber erfahrbar wird.“ (Wolfgang Vorländer)

(Dritter und letzter Teil eines Vortrags aus dem Jahr 2013)

Open the Eyes of my Heart, Lord

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