Open the Eyes of my Heart, Lord
Kürzlich stieß ich beim Googeln auf eine Veranstaltung namens „Fuck-Up-Night“. In der Kirche! Meine Neugier war geweckt. Fuck-Up-Nights bringen Menschen ins Rampenlicht, die ein Projekt so richtig vergeigt haben; die mit großer Leidenschaft eine Idee verfolgten, die aber schließlich total floppte. Und diese Menschen erzählen locker-flockig von ihrem Scheitern bzw. über das, was sie aus dem Scheitern gelernt haben. Sie holen das Scheitern aus der Scham-Zone, fördern eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit. Und ermutigen dazu, es einfach auszuprobieren. Schließlich ist Nobody perfect.
Hätte es vor 2.000 Jahren schon Fuck-Up-Nights gegeben, wäre Jesus ein Kandidat geworden? Der tragisch gescheiterte Wanderprediger. Seine Freunde sind traumatisiert. Drei Jahre waren sie mit ihm quer durchs Land gezogen. Es war ´ne geile Zeit. Er hatte sie in seinen Bann gezogen. Ihm zuliebe hatten sie ihre Jobs an den Nagel gehängt; ihre Heimat, Familien und Freunde verlassen. Doch schließlich mündete alles in einen Riesen-Crash. Es ging rasend schnell: Donnerstagabend feiern sie das Passahmahl, erleben eine intensive Gemeinschaft. In der gleichen Nacht wird Jesus verhaftet, dann in einem zweifelhaften Prozess verurteilt und am nächsten Morgen wie ein Verbrecher öffentlich hingerichtet. Die schrecklichen Bilder seines Todeskampfes am Kreuz werden sie nie vergessen. In nur 24 Stunden vom Hero to Zero. Das ist Karfreitag.
Wieso kamen keine Engel, um ihn in letzter Sekunde zu retten? Warum gab Gott ihm nicht die Kraft vom Kreuz zu steigen, wo er doch so einen guten Draht nach oben hatte? Er hatte doch immer behauptet, er sei Gottes Sohn! Stattdessen: Gekreuzigt, wie ein x-beliebiger Revoluzzer, der am Ende einsam und ohnmächtig starb. War denn alles vergeblich? What a fuck!
Zwei Freunde auf dem Weg ins Dörfchen Emmaus. Zwei Tage hatten sie sich mit den anderen Jüngern versteckt, gemeinsam ihre Wunden geleckt. Dann die Frauen, die von einem leeren Grab berichteten. Also hatten sie, die Männer, es nachgeprüft: Es war tatsächlich leer! Aber auferstanden? Vielleicht hatte jemand die Leiche geklaut. Aber wer würde das tun? Sie konnten sich keinen Reim darauf machen. All das machte sie depressiv. Sie mussten raus! Raus aus dem Haus. Raus aus der Stadt. Seit jeher versuchen Menschen in der Natur ihre aufgescheuchten Seelen wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Sich bewegen hilft bekanntlich wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Abends wollten sie sich in Emmaus ein Zimmer nehmen.
Sie sind vollkommen ins Gespräch vertieft, als sich unterwegs ein unbekannter Wanderer zu ihnen gesellt. Er hört ein Weilchen einfach zu, was sie sich erzählen. Sie kommen ins Gespräch. Es scheint, als hätte er von den Geschehnissen am Freitag in Jerusalem nichts mitbekommen. Man spürt ihre tiefe Enttäuschung, als sie ihm berichten: „Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen würde.“ Und nun? Sind sie etwa einem Hochstapler hinterher gelaufen? Drei Jahre ihres Lebens verschenkt! Für nichts und wieder nichts. Das macht alles keinen Sinn.
Moment mal … War jetzt eigentlich Jesus krachend gescheitert? Oder waren nicht vielmehr die Erwartungen der Jünger krachend gescheitert? Hatte Jesus nur schlechtes Erwartungsmanagement betrieben, oder haben die Jünger nur Vordergründiges erwartet? Gott konnte es doch schließlich nicht nur darum gehen, die Römer aus dem Land zu werfen, oder? Und so beginnt der unbekannte Wanderer Fragen zu stellen; das Geschehen aus seiner Perspektive neu zu interpretieren. Auf faszinierende Weise zeichnet er die großen Linien der Geschichte Gottes mit den Menschen: „Er öffnete ihnen die Schrift“, heißt es beim Evangelisten Lukas. Er weitet ihren Blick. Der Himmel reißt auf. Und sie sehen den Tod Jesu plötzlich in einem ganz anderen Licht. Ihnen erschließen sich Zusammenhänge, die sie vorher nicht gesehen haben. In ihren Köpfen entstehen neue Bilder.
Ihr Gespräch fasziniert sie so, dass sie gar nicht merken, wie die Zeit vergeht. Schon ist die Blaue Stunde, in der die Sonne alles in ein mildes Licht taucht und die Abenddämmerung heraufzieht. Und da sind auch schon die ersten Häuser von Emmaus. Der Unbekannte will sich verabschieden, doch sie drängen ihn zum Bleiben. Sie möchten weiterreden. Sie spüren, dass er die Dunkelheit in ihnen vertreiben kann. Und er lässt sich überreden und bleibt. Als der Wirt Brot und Wein gebracht hat, dankte der Unbekannte, brach das Brot und gab es ihnen. Augenblicklich verspüren sie Gänsehaut. Es ist Jesus! Wirklich! Er gibt sich zu erkennen - und sie erkennen ihn! Plötzlich sehen sie mit den Augen ihres Herzens. Eine vollkommen neue Erfahrung! Doch nun sind sie sich sicher: Er ist wahrhaftig auferstanden! Seine Geschichte geht weiter! Jesus ist nicht nur der Zimmermanns-Sohn aus Nazareth, sondern wirklich der Christus!
Dass er sich im selben Moment ihrer Gegenwart entzieht, deute ich als Prozess des Erwachsenwerdens. Unser Glaube bleibt kindlich naiv, wenn wir - bildlich gesprochen - ständig auf dem Schoss Jesu sitzen wollen. Jesus ist wie ein Adler, der seine Jungvögel gegen ihren Willen aus dem Nest wirft, damit sie lernen ihre Flügel zu gebrauchen. Und diese Flügel sind den Jüngern schnell gewachsen! „Brannte nicht unser Herz …?“ Soll etwas in uns brennen, muss es in uns entzündet werden. Jesus hat den Glauben in ihnen entzündet. Emmaus wurde zum Wendepunkt ihres Lebens. Dort haben sie nichts mehr zu suchen. Sie müssen ihren Freunden in Jerusalem berichten, sie ermutigen. Sofort brechen sie auf und treten den Rückweg an. Dass es schon Nacht geworden ist, ist ihnen vollkommen egal und flösst ihnen keine Angst ein.
Nur Lukas erzählt diese Story von dieser etwas anderen Fuck-Up-Night in Emmaus. Drei abschließende Gedanken dazu:
Erstens: Mich fasziniert diese Vorstellung, dass Jesus sich zu mir gesellt, meine Wege geht - und mögen sie noch so krumm sein oder möge ich noch so orientierungslos sein. Jesus geht eine Wegstrecke mit. Jesus geht die Extrameile - während ich so beschäftigt bin mit meinem Leben; mit dem, was mich bedrückt. Es ist ja richtig, einen Sinn in allem finden zu wollen; Entwicklungen verstehen zu wollen. Doch gelingt es mir häufig nicht, mir einen Reim auf alles zu machen. Mein Wissen ist Stückwerk. Ich weiß nicht mit letzter Gewissheit, was das Richtige ist. Bin mit meinem Latein am Ende. Aber dann erfahre ich überraschend einen Moment des Kairos. Erlebe, dass sich Gott mir offenbart; mich mit seinem Geist anhaucht. Und dann öffnet sich eine tiefere Dimension meines Lebens; ich fühle seine Gegenwart in besonderer Weise und spüre: Jetzt schlägt mein Leben eine andere Richtung ein.
Zweitens: Ich versuche, Jesus in den Menschen zu entdecken, die mir entgegenkommen und meine Wege kreuzen. Offen sein für seine verborgene Gegenwart; offen sein für einen neuen Gedanken, der mich aus dem Kreisen um mich selbst herausholt. Nicht nur einmal habe ich die Erfahrung gemacht, dass Gott seinen Segen genau dort hineinlegt, was mir Rätsel aufgibt; wo ich einen Widerstand oder Unlust verspüre. Dann heißt es: Nicht den Schwanz einziehen, sich in das vermeintliche Schicksal ergeben, sondern durch den Widerstand hindurch tauchen! Innere Widerstände sind wie eine Welle, die einen mitreißen und zurückspülen wollen an den Strand. Doch um von der Brandungszone, wo sich die Wellen brechen, ins Tiefe zu kommen, wo man entspannter schwimmen kann, ist es viel geschickter, durch die Welle hindurch zu tauchen. Ihre Kraft wird Dir so nichts anhaben können. Ja, Deine Frisur ist im Eimer, aber Du bist Deinem Ziel näher gekommen, wenn Du Dich nicht von Vordergründigem blenden lässt. Letztlich kann man dieses Bild auch auf Kirche übertragen: Gib Dich nicht mit der Kirche zufrieden. Da könnte vieles besser sein. Tauch durch die Wellen hindurch ins Tiefe. Und mache dort die Erfahrung: Der Glaube trägt. Dann wirst Du auch mit einem weiten Herzen auf die Kirche und ihre Unzulänglichkeiten schauen können.
Drittens: Glaube ist eine Erfahrung. Natürlich ist es wichtig, dass uns Menschen die Schrift öffnen und die Zerrbilder, die wir vom Glauben verinnerlicht haben, hinterfragen. Im Hintergrund ist es das Werk des Heiligen Geistes. In bestimmter Hinsicht kann man Glauben lernen. Doch unser Verstand kommt an Grenzen. Ostern ist logisch nicht erklärbar. Ostern dreht Karfreitag um 180° auf den Kopf. Es bedeutet: Von Zero to Hero! Wir müssen dem Auferstandenen begegnen! Ohne diese Begegnung bleibt der Glaube eine Kopfgeburt. Der Verstand allein kann die Auferstehung, Dreh- und Angelpunkt unseres Glaubens, nicht begreifen. Vielmehr muss es Ostern in unseren Herzen werden. Die Wahrheit der Heiligen Schrift müssen wir erfahren. Durch Jesu Gegenwart, denn die Wahrheit ist eine Person, der ich begegnen kann. Remember Joh. 14,6: Jesus spricht: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ Zum Lernprozess tritt also eine geistliche Erfahrung hinzu. Wir werden vom Glauben ergriffen. Und diese Gewissheit spüren wir im Herzen! Wie können wir diese Erfahrung machen? Indem wir Gott bitten, uns die Augen unseres Herzens zu öffnen.