God gave me travelling shoes

God gave me travelling shoes

Kürzlich habe ich meine alte Liebe zur Musik von Simple Minds wiederentdeckt. Ihr Song „Home“ beginnt übersetzt mit den Worten: „Gott gab mir Reise-Schuhe, und Augen eines Wanderers. Gott gab mir ein paar Goldmünzen, um mir auf die andere Seite zu helfen. Er schaute herum und sagte: Achte darauf, wie die kleinen Dinge wachsen. Gott gibt mir Schuhe zum Reisen, und ich wusste: Es war Zeit zu gehen.“ 

Der Song erinnert zum einen daran, dass ´unser Boss` ein Wanderprediger war. Zu seinen Lebzeiten schuf Jesus keine dauerhaften Strukturen. Aber er hinterließ bei vielen Menschen, die seine Wege kreuzten, einen nachhaltigen Eindruck - in ihren Herzen. Noch mehr als 2.000 Jahre später fasziniert er. Die Bibel ist voller Weg-Geschichten. Mir kommen die Jünger auf dem Weg nach Emmaus in den Sinn. Jesus selbst hat sich einmal als Weg bezeichnet. Dieses Bild, das der Evangelist Johannes überliefert (Joh. 14,6), begleitet mich in besonderer Weise durch mein Leben: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ 

Als die christliche Kirche im ersten Jahrhundert entstand, nannte man Jesu Nachfolger „Leute des neuen Weges“. Auch heute ist dieses Jesus-Zitat aus meiner Sicht programmatisch für die Kirche; zugleich Zuspruch und Anspruch: Wir sind unterwegs. Wir handeln in seinem Geist und sehen Menschen mit seinen Augen. Wir streben nach Wahrheit. Wir fördern Lebendigkeit. Lasst uns dies verdeutlichen auf allen Ebenen und in allen Dimensionen kirchlichen Handelns. Wir brauchen mehr Beweglichkeit.

Gegenwärtig vollzieht sich ein Umbau der Kirche bei voller Fahrt. Dazu drei schlaglichtartige Gedanken, die das Motiv des Weges aufgreifen:  

Ekklesiale Vielfalt

Der Song erinnert auch daran, Gewohntes hinter uns zu lassen und wahrzunehmen, wo im Kleinen längst Neues wächst. Gemeinden sind konstitutiv für die Kirche. Einer pluralistischen Gesellschaft entspricht ein bunter Mix verschiedener Ausdrucks- und Sozialformen christlicher Gemeinschaft: ekklesiale Vielfalt. Manchen ist das zu bunt. Aber wir stehen an einer Schwelle in der Kirchengeschichte, an der wir die bisherigen Systemgrenzen um des Evangeliums willen überschreiten müssen. Für manche ist dies ein unfreiwilliger Schritt. Doch wir sollten diese Situation als Lockruf des Heiligen Geistes verstehen. Er selbst lockt uns auf neue Wege und ermutigt uns zum Experiment. Kirche könnte sich in dieser Dekade in größerem Maße entlang von Charismen entwickeln und sich stärker in selbstorganisierten Netzwerken ereignen. Man könnte sagen: Kirche reicht zukünftig soweit, wie ihre Netzwerke gehen. Dies wird die bislang dominierende Stellung der Parochien hinterfragen. Kirchenleitungen tun gut daran Wege zu finden, um die Eigeninitiative kleiner missional ausgerichteter Teams zu fördern, die Kristallisationspunkte für soziale Netzwerke werden.

Das Prinzip einer flächendeckenden, kirchlichen Versorgung ist schon heute in einigen Regionen nur noch mit Mühe aufrechtzuerhalten. In dieser Dekade könnte die Frage nach der Vitalität einer Gemeinde an Bedeutung gewinnen. Wenn wir Lebendigkeit fördern wollen, brauchen wir quasi einen Fitness-Tracker für Gemeinden - verlässliche Vitalitätskriterien und anerkannte Messverfahren, um ihre ´Gesundheit` und ihre Zukunftsperspektiven ehrlich bewerten zu können. Dies dient zum einen der Prävention, denn wir sollten nicht erst warten, bis der Strom der Erneuerung ausgetrocknet ist. Aber wir sollten uns auch zukünftig mutiger von resonanzlosen Routinen verabschieden und sie nicht künstlich durch Kirchensteuer am Leben halten. Denn eigentlich wissen wir, dass wir den Ballast, der sich mit den Jahren angehäuft hat, erst loslassen müssen, damit Neues entstehen kann. 

Theologie des Weges

Eine Kirche, die sich auf den Wanderprediger Jesus beruft, ist eine mit leichtem Gepäck. Ihr entspricht das Bild einer Herberge oder eines Gasthauses an den Wegen der Menschen. Dieser Geist ist besonders in christlichen Kommunitäten spürbar, z.B. in der schottischen Iona Community. In aktuellen Strategiepapieren der EKD und der Landeskirchen wird häufig die Metapher des Aufbruchs bemüht. Implizit bringt sie zum Ausdruck, dass der Kirche ein Habitus der Sesshaftigkeit anhängt. Diesen gilt es gegen das Unterwegs-Sein einzutauschen. God gave us travelling shoes. Wir müssen wieder selbst spüren, wie es ist, Gast zu sein. Die Fremdwahrnehmung kann ja manchmal wahre Wunder wirken. Gastliche Orte zeichnen sich dadurch aus, dass sie zwanglose Begegnungen von Mensch zu Mensch und Beziehungen ermöglichen; dass nicht Programm im Vordergrund steht. Geschichten werden miteinander geteilt - unsere eigenen wie auch biblische Erzählungen, in denen Lebensweisheit verborgen ist.

Einer Theologie des Weges entspricht ein Verständnis des Lebens als Reise; als Pilgerschaft. Wir werden nur neue Einsichten bekommen, wenn wir uns in Bewegung setzen; unsere Komfortzone verlassen. In einer zunehmend durchgetakteten und rational-abstrakten Welt spüren sich Menschen einfach nicht mehr. 2001 pilgerte ich nach Santiago de Compostela. Die Anziehungskraft des Jakobswegs hat sich seitdem fast versechsfacht - auf sage und schreibe 348.000 Menschen in 2019. 1978 waren es lediglich 13 Pilger - im gesamten Jahr! Sicher: Es muss nicht gleich der Jakobsweg sein. Immer mehr begeben sich im Alltag auf eine innere Reise, suchen nach Inspiration und nach eigenen Formen einer alltagstauglichen Spiritualität. Meditation, Work-Life-Balance, Mystik, Achtsamkeit, Higher Purpose, Life-Coaching usw. sind Facetten der spirituellen Suche. Dieser offen angelegte Prozess bringt sie häufig in Berührung mit den Quellen des Menschseins und lässt sie sensibel werden für den göttlichen Funken, der in jedem menschlichen Herz angelegt ist.

Wir dürfen nicht der Versuchung erliegen, die Kirche attraktiv machen zu wollen, ohne zugleich den Blick auf Jesus Christus freizumachen, von dem eine ganz eigene Faszination ausgeht. Ein Freund aus der Business-Welt sagte mir letztens, er habe den Eindruck, die Kirche versuche immer das Unternehmen zu vermarkten anstatt das Produkt. Kann es sein, dass die Ekklesiologie die Christologie in den Schatten gestellt hat? Der Kern des Christentums ist doch nicht die Kirche, sondern die Begegnung und Beziehung mit Christus. Lasst uns wieder mehr über Jesus sprechen und über das, was uns an ihm begeistert und ihn einzigartig macht!

Glauben für Newcomer

„(Gott) will, dass alle Menschen (…) zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“ (1. Tim. 2,4). Dies darf man als Bildungsauftrag verstehen. Kirchliche Bildungseinrichtungen genießen einen sehr guten Ruf; ihre Angebote sind vielfältig. Gleichwohl fehlt es oft an Bildungsangeboten, mit deren Hilfe eine Annäherung an Grundlagen des Glaubens möglich wird. Je mehr die Kraft des Kulturprotestantismus nachlässt, desto wichtiger wird es Wege zu gestalten und bekannt zu machen, auf denen Menschen die Wahrheit des Glaubens finden können. Sie sind so zu gestalten, dass sie den Menschen als lernendes Subjekt begreifen; d.h. es gilt, eine anregende Lernumgebung zu schaffen, die Lust macht, den Glauben zu erkunden. Wissensvermittlung wäre ebenso Bestandteil wie das Öffnen von Räumen geistlicher Erfahrung, zu der sich Reflexion gesellt.

Die performative Religionspädagogik geht davon aus, dass man sich dem Glauben adäquat nur annähern kann, indem man probeweise die Innenperspektive einnimmt und für sich in aller Freiheit prüfen kann, Christ*in zu werden oder nicht. Die Alte Kirche kannte den Erwachsenenkatechumenat. Das moderne Pendant dazu sind Glaubenskurse - eine Art Gästezimmer christlicher Gemeinschaften. Es ist nach wie vor wichtig, sie zu einem erkennbaren Regelangebot in möglichst vielen Regionen auszubauen.

Adieu, Sven

Adieu, Sven

Krieger des Lichts

Krieger des Lichts