Krieger des Lichts

Krieger des Lichts

Einige Songs der Band Silbermond erzählen von der menschlichen Sehnsucht nach dem Himmel, darunter auch das etwas mystisch anmutende „Krieger des Lichts“ von 2009. Es könnte sein, dass seine Entstehung durch ein Buch von Paulo Coelho inspiriert wurde. Der Brasilianer zählt zu den weltweit erfolgreichsten Schriftstellern unserer Zeit und hat inzwischen mehr als 225 Mio. Bücher verkauft. Sein „Handbuch des Kriegers des Lichts“ von 1997 erschien vier Jahre später in deutscher Sprache - ein kleines Büchlein mit kurzen Inspirationstexten für jeden Tag. Es stand bei mir schon viele Jahre im Regal. Weil ich gerade viel Zeit zum Lesen habe, habe ich es nun wieder hervorgekramt, lese seit Neujahr jeden Tag einen kurzen Text, und teile ihn mit einem Freund.

Krieger, Krieg … für die meisten von uns glücklicherweise weit weg. Wir hören davon in den Nachrichten. Manchmal erzählen unsere Großeltern vom Krieg, sofern sie noch leben. 2020 jährte sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 75. Mal. Noch nie in der Geschichte Mitteleuropas gab es eine so lange Zeit des Friedens, obgleich die Berliner Mauer ja ein Ausdruck des Kalten Krieges war. Was also können wir uns unter einem Krieger des Lichts vorstellen?

Wer nur an neuzeitliche Esoterik denkt, irrt. Licht und Finsternis, die miteinander um Vorherrschaft ringen, zählen zu den eindrücklichsten Bildern der Bibel und spielen auch in anderen Weisheitstraditionen eine Rolle. Jesus selbst beansprucht, das Licht der Welt zu sein (Joh. 8,12). Und verheißt dieses Licht allen, die seinen Weg gehen: „Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ Jesus Christus verkörpert das Licht, und er will es hell in jedem von uns machen. Es ist kein Zufall, dass die Geburt Jesu in etwa mit der Wintersonnenwende zusammenfällt. An den dunkelsten Tagen des Jahres geht die Sonne in unseren Breiten schon kurz vor 16 Uhr unter. Wir sehnen uns nach Licht und Wärme. Weihnachten ist der Wendepunkt und erinnert uns daran, dass Jesus als Licht in die Welt kommt und in der Lage ist, unsere Sehnsucht zu erfüllen.

Und doch ist diese Verheißung des Lichts kein Automatismus. Darauf macht der Apostel Paulus aufmerksam. In seinem ersten Brief an seinen Gefährten Timotheus lesen wir (1. Tim. 6,12, zitiert nach der Neuen Genfer Übersetzung): „Kämpfe den guten Kampf, der zu einem Leben im Glauben gehört, und gewinne den Siegespreis - das ewige Leben, zu dem Dich Gott berufen hat.“ Vers 11: „(…) Dein Ziel soll (…) sein: Ein Leben, das erfüllt ist von Gerechtigkeit, Ehrfurcht vor Gott, Glauben, Liebe, Standhaftigkeit und Freundlichkeit.“ Wie kämpft man den guten Kampf? Und wer ist überhaupt der Gegner?

Seit Jahrtausenden schon beschäftigen sich Denker und Weisheitslehrerinnen mit der Frage nach dem Guten, dem Wahren und dem Schönen. Die Frage ist nach wie vor aktuell. Im September 2021 findet dazu ein Kongress der Deutschen Gesellschaft für Philosophie statt. Wie diese drei universellen Werte, und sie implizieren auch Gerechtigkeit, gefördert und schließlich immer mehr zum Fundament für das Leben werden - danach strebt ein Krieger des Lichts. Er ist sich bewusst, dass er diese Ideale niemals vollkommen verwirklichen kann. Das ´Schlachtfeld`, auf dem dieser ´Krieg` ausgetragen wird, ist jedoch verborgen. Es liegt in unserem Herzen.

Theresa von Avila, eine bekannte Mystikerin des Mittelalters, die in Spanien lebte, sprach einmal von der ´inneren Kammer, in der Gott wohnt`. Letztlich tragen wir alle von Geburt an den göttlichen Funken im Herzen. Bei manchen brennt er als helles Licht. Bei anderen ist es gerade noch ein zartes Glimmen. Denn durch Erfahrungen, die wir im Leben sammeln; durch Konflikte, in die wir hineingeraten - manchmal auch gegen unseren Willen -; aber auch durch unsere Entscheidungen kann das Licht in unserem Herzen verdunkelt werden. Unser Licht ist also von zwei Seiten bedroht - von außen genauso wie von innen.

Im Video von Silbermond sieht man, dass die einzelnen Bandmitglieder sozusagen mit ihrem Schatten, mit ihrem Alter Ego kämpfen. Krieger des Lichts führen somit nicht in erster Linie einen Kampf gegen Andere, sondern schützen und verteidigen ihr inneres Licht vor allem gegen ihre eigene Destruktivität, ihre Zweifel, ihre mangelnde Selbstliebe. Ein zweites Merkmal: Der Kampf ist primär geistlicher Art; also kein reales Gemetzel, bei dem es darum geht, dass wir einander verbal verletzen oder körperlich Schaden zufügen. Dieser geistliche Kampf bedarf besonderer ´Waffen`, wie sie der Bibeltext in Eph. 6,10ff. mit der etwas martialischen Überschrift „Die geistliche Waffenrüstung“ beschreibt. Der folgende kleine Text, mit dem das Handbuch des Kriegers des Lichts beginnt, kann ein wenig zum Verständnis dieser Waffenrüstung beitragen:

“Ein Krieger des Lichts vergißt niemals, dankbar zu sein. Die Engel haben ihm im Kampf beigestanden; die himmlischen Heerscharen haben einem jeden Ding seinen rechten Platz zugewiesen und dem Krieger des Lichts erlaubt, sein Bestes zu geben.

Seine Gefährten meinen: Was hat er doch für ein Glück! Denn ein Krieger des Lichts erreicht oft mehr, als seine Fähigkeiten erwarten lassen. Daher kniet er bei Sonnenuntergang nieder und dankt dem schützenden Mantel, der ihn umgibt.

Aber seine Dankbarkeit beschränkt sich nicht auf die spirituelle Welt. Er vergißt niemals seine Freunde, weil ihr Blut sich auf dem Schlachtfeld mit seinem vermischt hat. Einen Krieger des Lichts braucht man nicht an von anderen erwiesene Hilfe zu erinnern. Er erinnert sich von allein daran und teilt die Belohnung mit ihnen.”

Vier kurze Gedanken dazu:

Ein Krieger des Lichts ist kein Einzelkämpfer. Er ist sowohl in der sichtbaren als auch in der unsichtbaren Welt zuhause und mit Gefährten in beiden Welten verbunden. Er weiß, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als man mit bloßem Auge sehen und mit Rationalität erfassen kann. Durch Meditation und Achtsamkeit hat er die Augen seines Herzens geschult. Nur deshalb vermag er mehr zu bewegen, als seine begrenzte menschliche Kraft erlaubt. Seine Wirksamkeit ist größer, als es seine Begabungen vermuten lassen würden.

Das Wissen um die Begrenztheit seiner Kräfte und Möglichkeiten lässt in ihm Dankbarkeit entstehen. Er hält beileibe nicht alles für selbstverständlich und ist gewiss, dass das Wesentliche unverfügbar ist und ihm Segen und Gelingen geschenkt wird, wenn er mit leeren, offenen Händen und mit guten Absichten vor Gott tritt. Er hat erfahren, dass Gott seine Unzulänglichkeiten und seine Verletzlichkeit in Stärke verwandeln kann. Der Mantel, der ihn schützt, ist sein Glaube, sein Vertrauen in Gott.

Was aber bedeutet: „Die Engel haben einem jeden Ding seinen rechten Platz zugewiesen“? Ich verstehe es so: Die übernatürlichen Wesen aus der unsichtbaren Welt haben den Krieger gelehrt sich zu fokussieren; sich nicht zu verzetteln; sich innerlich zu sortieren. Er versteht jetzt seine Seele zu führen. Also die inneren Stimmen zu unterscheiden, um nicht den falschen zu folgen, und sich nicht in den Schlingen zu verheddern, die ihm seine Begierden um die Füße zu wickeln vermögen. Begierde ist ein oft missverstandenes Wort. Ich meine, es geht hier im Kern um die Wahrung unserer Freiheit, denn wenn ein eigentlich legitimes menschliches Bedürfnis zur Begierde wird, dann ist das Zeichen, dass wir in Abhängigkeit geraten sind. Daher zielt diese Lektion darauf ab, dass der Krieger des Lichts Klarheit des Herzens erlangt, um intuitiv das Richtige zu tun und in der Spur der Freiheit zu bleiben. Die wichtigste Schlacht des Kriegers gilt also den eigenen Leidenschaften. Wir tun gut daran sie zu zähmen, um sie für das Gute einzusetzen, denn Leidenschaften, die uns beherrschen, wirken sich destruktiv aus. Der Krieger des Lichts stellt sich zuerst seinen eigenen inneren Abgründen und Widersprüchen. So lernt er gnädig mit sich selbst umzugehen und kann dem Reflex widerstehen, andere zu verurteilen.

Wer den Kampf des Guten kämpft, wird belohnt. Seine ´Beute` ist, das Beste in ihm zum Vorschein zu bringen, nämlich die Leuchtkraft des Lichts, das in ihm brennt. Im momentanen Lockdown, der wohl noch eine Weile andauern wird, lässt sich von fernen Reisezielen nur träumen. Wäre es nicht ein guter Zeitpunkt, sich stattdessen mutig auf das Abenteuer einer inneren Reise einzulassen, weil es so wenig äußere Ablenkungen gibt? Viele von uns, natürlich nicht alle, haben mehr Zeit als üblich. Nun gilt es, die Stille und die Gegenwart Gottes in unserer inneren Kammer zu suchen. Dabei kann es sinnvoll sein, auch Ausschau nach einem vertrauenswürdigen Begleiter oder einer Begleiterin zu halten, mit dem oder der man sich ab und an über Erfahrungen und Fragen austauscht, um zu lernen und innerlich zu wachsen. Dies wird die Leuchtspur Gottes in unserem Leben umso stärker zur Geltung bringen, den eigenen Weg klarer machen und manche Sorgen oder Ängste in Mut und Zuversicht verwandeln.

Die Macht eines Kriegers des Lichts ist sein Glaube. Um nichts kämpft er mehr.

God gave me travelling shoes

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Alles im Lot

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